Grüner Wasserstoff in der Energiewende: Fokussierter Einsatz unverzichtbar

Seite 3: Potenziale für kostengünstige Herstellung grünen Wasserstoffs begrenzt

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In der Energiesystemanalyse ist weitgehend unumstritten, dass eine Erzeugung großer Mengen grünen Wasserstoffs in Deutschland unrealistisch ist. Dies liegt an einer ohnehin hohen Nachfrage nach grünem Strom in verschiedenen Sektoren und begrenzten kostengünstig zu erschließenden heimischen Potenzialen. Im europäischen Stromverbund sind die Möglichkeiten zum zusätzlichen Ausbau erneuerbarer Energien aufgrund größerer Flächenpotenziale und teilweise besserer Verfügbarkeiten von Windkraft und Solarenergie schon deutlich größer als in Deutschland. Aber in Europa müssen bereits Windkraft- und PV-Anlagen in sehr erheblichem Umfang zugebaut werden, um überhaupt den heutigen Stromverbrauch mit erneuerbaren Energien decken zu können. Je höher der Strombedarf zusätzlicher Optionen der Sektorenkopplung ist, desto höher und herausfordernder sind auch die erforderlichen jährlichen Ausbauraten erneuerbarer Energien.

Weltweit dagegen sind die Potenziale zum Ausbau erneuerbarer Energien grundsätzlich sehr groß. Dies gilt insbesondere, wenn auch abgelegene Regionen betrachtet werden, die heute noch nicht Teil bestehender Stromverbünde sind. Der PtX-Atlas des Fraunhofer-Instituts IEE weist besonders hohe Potenziale zum Beispiel in Australien, Argentinien, den USA und auch Russland aus. Hohe Potenziale gibt es auch in Chile, Kanada, Mexiko sowie einigen afrikanischen Ländern. Daher setzen viele Befürworter eines breiten Einsatzes von Wasserstoff in Deutschland auf künftige Importe aus solchen Regionen.

Allerdings erscheint die praktische Umsetzbarkeit von großskaligen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und zur Elektrolyse sowie der nötigen Exportinfrastruktur nicht an allen Standorten gleich realistisch. Neben einer hohen Verfügbarkeit von Wind- und Solarenergie sowie Wasser sind unter anderem ein stabiles politisches und sozioökonomisches Umfeld für Investitionen, förderliche regulatorische Rahmenbedingungen vor Ort sowie hinreichend ausgebildete lokale Arbeitskräfte erforderlich.

Hinzu kommt, dass in vielen Ländern zumindest Teile der verfügbaren Potenziale erneuerbarer Energien ohnehin zunächst für die Dekarbonisierung der dortigen Stromsektoren erschlossen werden müssen. Dies kann zu Konkurrenzen bei der Nutzung von Standorten sowie beim Aufbau der Anlagen führen. Zudem ist in Zukunftsszenarien, in denen alle Länder auf einen treibhausgasneutralen Entwicklungspfad einschwenken, mit einer hohen Nachfrage nach grünem Strom und grünem Wasserstoff nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu rechnen. Daher dürften die tatsächlich und kostengünstig realisierbaren Potenziale für nach Deutschland exportierten Wasserstoff deutlich kleiner sein als in technischen Potenzialstudien angenommen.

Unabhängig von der Frage, wie groß die tatsächlich zu realisierenden Potenziale für kostengünstigen grünen Wasserstoff weltweit sind, würde eine breit angelegte Nutzung von importiertem Wasserstoff einen erheblichen Zeit- und Koordinationsbedarf beim Aufbau der Infrastruktur mit sich bringen. Es müssten zeitnah sehr große Investitionen in meist langlebige Anlagen sowohl auf der Angebots- und der Nachfrageseite sowie bei den Transportinfrastrukturen getätigt werden. Es ist fraglich, ob – zusätzlich zum ohnehin zu beschleunigenden Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung – die globalen Lieferketten überhaupt in der Lage sind, innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte Produktions- und Transportkapazitäten im Multi-TWh-Maßstab umzusetzen.

Zudem müssten diese großskaligen Investitionen auf der Angebots-, Nachfrage- und Transportseite gleichzeitig angestoßen werden. Dies erfordert erhebliche Koordination und zielgerichtete Industrie-, Wirtschafts- und Regulierungspolitik der Regierungen beteiligter Erzeugungs-, Transport- und Abnehmerländer. Insbesondere müssten Investoren ausreichend gegen Angebots- bzw. Nachfrageausfälle abgesichert werden.