Tibber: Wallbox-Netz verkauft verteilte Regelenergie

Der Stromanbieter Tibber startet das Angebot "Grid Rewards". Dabei verkauft das Unternehmen Regelenergie und bezahlt Kunden für die nötige Wallbox-Steuerung.

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(Bild: Clemens Gleich)

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Von
  • Clemens Gleich

Der Stromanbieter Tibber führt heute den neuen Service "Grid Rewards" in Schweden und Norwegen ein, für den bereits seit März ein öffentlicher Betatest in den Niederlanden läuft. Im Herbst soll das System auch bei den deutschen Kunden verfügbar sein. Bei den Grid Rewards erhalten die User Geld dafür, dass sie ihre steuerbaren Wallboxen von Tibber so regeln lassen, dass sie netzdienlich arbeiten. Der Ertrag soll (je nach Fahrleistung) im Bereich 100 Euro/Jahr liegen. Nachdem zuerst die Wallboxen integriert werden, sollen später in weiteren Schritten Hausbatterien, Wechselrichter und Wärmepumpen folgen. Regelenergie ist Tibbers drittwichtigstes wirtschaftliches Standbein, nach der Grundgebühr und dem Handel mit Geräten über das eigene Shop-System. Den Strom an sich verkauft Tibber nach Eigenaussage zum Selbstkostenpreis. Daher gehört Tibber ab einem gewissen Stromverbrauch zu den günstigsten Stromanbietern.

Die Grid Rewards belohnen die Teilnahme an einem virtuellen, verteilten Kraftwerk, das Regelenergie verkauft. Regelenergie bedeutet: Leistung wird nach Bedarf zu- und abgeschaltet, um Erzeugung und Stromnetz möglichst gut zu nutzen. Bedarf an solcher Flexibilität hat das gesamte Stromnetz, vor allem durch den Ausbau wetterabhängiger Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik (PV). Durch die verteilte Natur Tibbers virtuellen Kraftwerks können auch kleinere Netzsegmente diese Flexibilität nutzen. Nötig wird so etwas hauptsächlich dadurch, dass zwar vielleicht "immer irgendwo der Wind weht", wie der Spruch lautet, aber es fehlt eben immer auch eine Leitung, und Leitungen sind sehr teuer. Deshalb wird Wind- oder PV-Strom immer mehr abgeregelt, obwohl es in weiter entfernten Segmenten Strombedarf gäbe. Das Netz gibt dann die Durchleitung schlicht nicht her.

Bevor also zu viel Strom in einem Segment nicht mehr abgeleitet werden kann, schaltet Tibber dort Wallboxen zu. Die nehmen dann Strom auf, der ansonsten abgeregelt werden müsste. Dieser Strom hat in Deutschland dann zudem sehr niedrige CO₂-Werte, weil die Zuvieleinspeisung immer aus Wind und PV kommt. Wenn andersherum durch eine Abweichung vom Wetterbericht viel weniger Sonne und Wind vorkommen als erwartet und ein flexibles Gaskraftwerk starten müsste, kann Tibber für diese Zeit Ladevorgänge pausieren, um den Verbrauch in eine Zeit zu schieben, in der weniger oder kein Gas verbrannt wird. Regelenergie bedeutet im Prinzip Verbrauchssteuerung auf Infrastrukturebene. Verbrauchssteuerung ist die günstigste Methode, sich an eine wetterabhängige Stromerzeugung anzupassen – weit vor jeder Form der Speicherung.

Die Tibber App erhält nach Freischaltung der Grid Rewards ein zusätzliches Panel, das den aktuellen Zustand des Ladevorgangs anzeigt. Rechts etwa wird der Ladevorgang pausiert, um den Strombezug zu senken.

(Bild: Tibber / Clemens Gleich)

In den skandinavischen Ländern, in denen der Service nun startet, gibt es bereits sehr viele Smart Meter, die für so einen Service nötig sind. In Deutschland will Tibber trotz geringer Verbreitungsrate schon im Herbst den Dienst anbieten. [Update:] Funktionieren soll das auch ohne das Stromzähler-Ablesegerät "Pulse" mit dem Durchschnitts-Tarif. [/Update] Die Nutzung der Grid Rewards wird jedoch an die Beauftragung eines Smart Meters gebunden sein. Ab 2025 sollen in Deutschland systematisch Smart Meter und dynamische Stromtarife ausgerollt werden. Sie können die Details dazu hier lesen. Zuerst sind Haushalte mit Stromverbräuchen über 6000 kWh/Jahr dran. Die Bundesregierung deckelt die Gebühren für Smart Meter im Rahmen der von ihr beschlossenen Pflicht. Es kann sich also lohnen, mit der Beauftragung noch bis zur Pflichtumrüstung zu warten, wenn dann die Kosten deutlich niedriger ausfallen.

Dass die Grid Rewards im Herbst schon einmal über das Pulse zu uns kommen, hängt an Tibbers Erfolg in Deutschland. "Tibber wächst sehr schnell in Deutschland", sagte Daniel Lindén, Mitgründer von Tibber, im Interview mit Heise Online. "Deutschland ist unser am schnellsten wachsender nationaler Markt. Der nächste Schritt sind die Grid Rewards: Geld verdienen durch eigene Flexibilität anbieten. User müssen dabei nur das Elektroauto an die Wallbox anschließen, um den Rest kümmern wir uns."

Daniel Lindén ist Mitgründer und CPO bei Tibber. Er nahm sich zur Einführung der Grid Rewards Zeit für kurze Interviews.

(Bild: Tibber)

(cgl)