Jim Keller über KI: "In 10 Jahren ist alle Software weg"

Der bekannte Chipdesigner Jim Keller hat in einem Interview seine Visionen für KI breit dargelegt. Das schwankt zwischen Größenwahn und Realismus.

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Jim Keller 2018 auf einer Veranstaltung von Intel, für das er damals tätig war.

(Bild: Nico Ernst)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nico Ernst
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In einem seiner seltenen langen Interviews hat der CEO von Tenstorrent, Jim Keller, dem YouTube-Kanal "Linus Tech Tips" (LTT) vor allem seine Vorstellung über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz beschrieben. Keller zufolge wird sich die Welt der Computer, und damit auch der Medien, drastisch ändern, weil nahezu alles von KIs generiert werden wird.

Wenn das irgendjemand sagen würde, könnte man ihn wohl als Opfer des KI-Hypes einordnen, aber Keller ist nicht irgendjemand. Er gilt seit Jahrzehnten als einer der talentiertesten Chipentwickler weltweit. AMDs K8-Architektur (Athlon 64 etc.), später Zen von AMD (Ryzen, Epyc etc.) sowie Apples erste eigenen SoC A4 und A5 für iPhones verantwortete er als Chefdesigner, und das ist nur ein Teil seiner Entwicklungen.

Seit 2020 arbeitet Keller bei Tenstorrent, das KI- und Risc-V-Chips entwickelt, Anfang 2023 wurde er dort auch zum CEO. In seinen Aussagen mag daher immer etwas Marketing stecken, weil Tenstorrent schließlich Chips verkaufen will. Aber, und da wird es wieder etwas realistisch, nicht gleich in Konkurrenz zu den ganz Großen. Die von manchen Medien immer wieder vermutete Konkurrenz von Tenstorrent zu Nvidia verneinte Keller. "Ich mache mir um Nvidia keine Sorgen" sagte er im Interview.

Auch wenn die ganze Branche auf den Marktführer für KI-Beschleuniger sehe, sei das nicht alles: Software, trainierte Modelle, Rechenzentren, Infrastruktur, all das mache einen "100-Milliarden-Markt" aus. Den wolle er gar nicht bedienen, er sei auch schon mit einem Umsatz von 500 Millionen zufrieden. Die Frage, die er sich stelle, sei: "Wie machen wir Computer billiger, und wie machen wir sie offen." Keller zufolge gewinnt nur noch der, welcher von der Open-Source-Software über offene Chipdesigns bis zur Fertigung alles in der Hand hat, um Abhängigkeiten zu reduzieren.

Keller ist sich sicher, dass in zehn Jahren – diesen Zeitraum gab er früher auch schon für den Durchbruch von Risc-V an – von KIs generierte Inhalte jeglichen Markt dominieren werden. "In zehn Jahren schaut sich niemand mehr einen Film an, du wirst in einem Film leben", sagte er im Gespräch mit LTT. Man könne dann einfach seine Lieblingsfigur aus einem Film fragen, ob sie einem etwas zeigen könne, und diese würde antworten: "Halt die Klappe, ich muss gerade jemanden erschießen." Auf die Frage, wie bisherige Software auf künftigen Computern, die wesentlich auf KI-Beschleunigern basieren, denn arbeiten solle, gab Keller ein etwas plastischeres Beispiel.

In zehn Jahren sei es gar nicht mehr nötig, dass alle Software auf allen Plattformen zur Verfügung stehe. Wenn man zum Beispiel ein altes Spiel spielen wolle, könne man dem Computer einfach sagen: "Hey, ich will Super Mario spielen", das Spiel beschreiben, und der Maschine ein Video zeigen. Dann würde die KI das ganze Spiel emulieren, und "Du wirst damit zufrieden sein", sagte Keller. Linus Sebastian bezeichnet das als "gruselig" und meinte auch, er könne Nintendos Anwälte schon jetzt aus der Ferne hören. Kreative Berufe wie die von Autoren, Filmemachern und Maler werde es dennoch geben, schränkte Keller später ein, denn "Menschen mögen Dinge, die Menschen gemacht haben."

Später im Gespräch meinte Keller dann zur Frage des vollständigen Ersetzens von Software: "Alle Software, die je geschrieben wurde, wird verschwinden." Und weiter: "Das wird schneller passieren, als du denkst. Und zwar hundertprozentig." Schon heute arbeite sein Unternehmen daran, dass die KIs auf den eigenen Tensor-Prozessoren für die RISC-V-Chips, welche sie steuern, eigene Software schreibe. Das sei immer dann nötig, wenn der Mensch von der Maschine eine neue Funktion haben will. Die – siehe Super Mario – beschreibe er dann, und der Rechner erledige den Rest.

Keller gibt in dem Interview auch zahlreiche Anekdoten über seine Zeit bei verschiedenen Firmen zum besten. Am erhellendsten ist dabei, wie seine Ausgangsbedingungen waren, als er 2012 zu AMD zurückkehrte, das er 1999 verlassen hatte. Dort hätte "Resignation" geherrscht, so der Ingenieur. Der Misserfolg der Bulldozer-Architektur hätte zu zahlreichen Kündigungen geführt, denen schlussendlich die Hälfte der Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sei. AMD war faktisch pleite, und das sei "kürzer bevorgestanden, als ich dachte".

Die Zen-Architektur (Ryzen, Epyc etc.) galt als Hoffnungsträger, um die Firma zu retten, was schließlich auch gelang. Um das zu schaffen, hätten aber alle Prozessorprojekte eingestampft werden müssen, um von vorne anzufangen. Dem habe der damalige CEO Rory Read zugestimmt. Zudem, so Keller, hätte er darauf bestanden, nicht nur der Lead Architect, und damit Chefentwickler von Zen zu sein, sondern auch das gesamte Team zu leiten. Dazu habe er sich einen externen Berater geholt und zahlreiche Bücher über Management gelesen.

Letztendlich habe das aber vor allem geklappt, weil nur noch gute Leute bei AMD tätig gewesen seien, die sich auch mochten, und gerne zusammenarbeiteten. Dennoch sei es anfangs schwer gewesen, sie zu motivieren. Keller zufolge glaubte man nicht mehr an die neue Architektur, weil die vorherige schon nicht gut gewesen sei. In die Hände habe AMD auch gespielt, und zwar "zu fünfzig Prozent", dass Konkurrent Intel stagnierte . "Das habe ich nicht kommen sehen", sagte Keller. Er spielt damit offensichtlich auf die damals immer wieder neu aufgelegten Varianten von Intels Skylake-Architektur an, die in der Leistung kaum vorankamen.

(nie)